Alle Jahre wieder: Welches ist denn nun der "beste" Champagner? Und (wie) bekommt ein Konsument den gleichen Wein?

Alle Jahre wieder: Welches ist denn nun der "beste" Champagner? Und (wie) bekommt ein Konsument den gleichen Wein?

Wir hatten es schon Ende 2020 in einem Blogeintrag zum Thema Blindverkostungen und Weintests geschrieben bzw. vorausgesagt:

"Ritual Nummer eins. In einem Massenmedium entscheidet sich die Redaktion jeweils kurz vor Silvester für einen (oft fragwürdigen) Schnelltest zum Thema Schaumwein."

Das ist auch im Ausland eher die Regel als die Ausnahme (siehe etwa diesen ARD/SWR-Test mit Discounter-Champagnern in Deutschland). Vor Silvester 2022 kam die Redaktion des Schweizer Konsumenten-Magazins Saldo auf die gleiche Idee. Es gab als Resultat des Blindtests in der gedruckten Ausgabe 20/2022 und online eine sensationswürdige Schlagzeile zu vermelden:

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"Günstiger Denner-Champagner schlägt Edelmarken"

"Mehr als die Hälfte der trockenen Champagner ­erhielt von der saldo-Jury eine gute Bewertung. Der Vergleich zeigt auch: Günstige Weine sind oft gleich gut wie Edelmarken, deren Preise markant gestiegen sind."

(Quelle; ganzer Artikel hinter der Bezahlschranke von Saldo)

Da der Titel des Artikels bereits den Gewinner verraten hat nennen wir nachfolgend ohne schlechtes Gewissen den Namen des Siegers und die weiteren vorderen Plätze dieses Blindtests.

Im Test vertreten waren viele bekannte brut NV-Champagner von grossen und kleinen Häusern sowie Kooperativen/Genossenschaften, letztere stellen oft auch Champagner für grosse Handelsketten im Auftrag her. Die Plätze 1-5 (von total 16):

1. Colligny Brut NV (von Maison Burtin produziert, Kürzel NM-243-012, in der Schweiz im Denner zu finden) - 17 Punkte
2. Pommery Brut Royal NV - 15,9 Punkte
3. Moet-Chandon Brut Imperial NV - 15,9 Punkte
4. Alfred Rothschild & Cie (in der Schweiz im Coop zu finden) Brut NV - 15,5 Punkte
5. Veuve Clicquot Yellow Label Brut NV - 15,1 Punkte

(Der Vollständigkeit halber: «Bon à Savoir», die Schwesterzeitschrift von Saldo in der Romandie, liess ebenfalls 16 NV-Champagner verkosten. Dort schnitten Champagner, wie etwa der Laurent-Perrier brut NV, auch mit gut ab, welche in der Deutschschweiz nicht im Test vertreten waren).

Bewertet wurde auf einer in Europa mittlerweile üblichen Skala von 1-20 Punkten (leider werden die genauen Testkriterien im Saldo-Artikel nicht aufgeführt, nur die finale Punktzahl). In der vierköpfigen Jury sassen drei Schweizer Sommeliers und ein Schweizer Weinfachberater (weitere Details im Originalartikel). Zum Testsieger Colligny Brut NV wurde von der Saldo-Jury notiert:

"Duftet fruchtig nach Mirabelle, reifem Apfel, Kernobst, Hefe, Pfeffer, Hagebutte, Toast.
Im Mund würzige Noten von weissem Pfeffer, Sanddorn, Apfel und geröstetem Brot.
Anhaltende, reichhaltige Aromatik, frisch und komplex."

Wir verkosteten diesen Champagner aus Neugier Ende 2022 ebenfalls (aus einem zentral gelegenen Denner mit viel Warenumschlag und gut verpackt aus einem Karton, mehr zu den Gründen später):

Der Champagner schmeckte für uns ebenfalls sehr fruchtig nach Apfel, dazu mit einem Anflug von tropischen Früchten wie Ananas. Wenig Brioche- und Hefenoten (sehr kurze Lagerzeit, wohl nahe am in der Champagne erlaubten/geregelten Minimum von 15 Monaten?). Auch wirkte der Wein trotz ansprechender Frische (Zitrusfrucht) subjektiv süsslich an der obersten brut-Grenze (Dosage bei oder über 10g/l, an der Grenze zu extra dry?). Letzteres dürfte Konsumenten ansprechen die sonst eher fruchtig-frischen Prosecco trinken. Nicht nachvollziehbar für uns ist die Bewertung "komplex". Unter dem Strich aber sicher ein solider Champagner für Apéros etc. (eher weniger als Essensbegleiter), besonders in Relation zum Preis: Bei regelmässigen Aktionen verkauft Denner Schweiz den Colligny Brut NV oft um die oder sogar unter 20 CHF pro Flasche.

Ende gut, alles gut?

Leider nicht. Die Frage bleibt ob wir wirklich die gleiche Abfüllung - also den gleichen Wein wie die Saldo-Jury - getrunken haben. Dies obwohl beide Champagner im gleichen Zeitraum (gegen Ende 2022) frisch gekauft wurden.

Warum ist das so? Dazu müssen wir ausholen.

Diese zentrale Frage - "ist der gleiche Wein in der Flasche ?" -  kann man bei vielen NV-Schaumweinen und NV-Champagnern ohne Zusatzinformationen auf der Front- oder Rücketiketten leider überhaupt nicht beantworten.

Bekanntlich sind die meisten Schaumweine keine Jahrgangsweine (NV, Non-Vintage, teils auch als MV, Multi-Vintage, oder sans année bekannt).

Für eine echte Vergleichbarkeit müsste der Konsument also mindestens zwei Informationen auf dem Etikett vor dem Kauf/Konsum finden können:
  • Das Basisjahr des Weins (jeweils angereichert mit älteren Reserveweinen zur NV-Assemblage)
  • Das Degorgierdatum der Flasche (Zeitpunkt der Enthefung und finalen Verkorkung)
(Wer diese Begriffe noch nicht kennt, kann sie in unserem Champagner-Glossar nachschlagen).

Zumindest die zweite Information (das Degorgierdatum auf jeder Flasche) sollte im Minimum vorhanden sein bei NV-Schaumwein-Etiketten.

Nur mit diesen Informationen wären Schaumweine ohne Jahrgang (wie “normale” Stillweine mit Jahrgang, dort ist der Fall nach einem kurzen Blick auf die Frontetikette klar) einfach identifizierbar und damit 1:1 vergleichbar.

Immer noch kommunizieren viele Produzenten diese Informationen nicht auf ihren Flaschen. Dazu gehören nicht nur "günstige" Champagnermarken für Discounter, sondern auch hochpreisige Anbieter wie etwa Ruinart.

Daher bleiben sehr viele Fragen offen. Eine Flasche kann zum Beispiel (zu) lange im Regal liegen (mit zu viel Licht und zu hoher Temperatur) oder aus einer älteren oder neueren Abfüllung mit teils sehr unterschiedlichem Geschmacksprofil stammen - obwohl auch jeder Kellermeister solcher "massentauglicher" NV-Champagner mit Millionenauflagen natürlich versucht, diese nach jeder Traubenlese wieder möglichst uniform und gleichmässig im "Stil" der Marke zu produzieren [1].

Im Test ereilte dieses NV-Lotterie-Schicksal den (von uns bei eigenen Degustationen meist gut geschätzten) Drappier brut NV. Dieser landete abgeschlagen auf dem zweitletzten Platz 15:

15. Drappier Carte d' Or brut NV - 13 Punkte (und damit die Note "ungenügend" von der Jury)

Die Saldo-Jury notierte zum Drappier wenig schmeichelhaft unter anderem: "...Noten von Schweiss, Kohl. Schäumt nur schwach. Wirkt dünn."

Bei der Bewertung "nur schwach schäumend" müssen wir ein allgemeines Fragezeichen hinter die Methodik der Saldo-Jury (und vieler anderer Blindverkostungen von Schaumweinen) setzen. Dazu ein einfaches Demonstrationsvideo, aufgenommen Ende 2022 für diesen Beitrag:

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Offensichtlich schäumt/perlt der Schaumwein in der schmalen Flute (links im Bild) sehr viel intensiver und "schöner" als der zweite Schaumwein. Dieser Wein befindet sich in einem Gabriel-Universalglas (siehe rechts im Bild).

Ist der Schaumwein im rechten Glas nun abgestanden oder "müde"? Nein, es handelt sich um den exakt gleichen Champagner, frisch vor der Aufnahme in beide Gläser eingeschenkt (und natürlich aus der gleichen Flasche)!

Je nach Glasform, Design und Sauberkeit der Gläser (wie Kratzer, bewusst angebrachter Moussierpunkt oder kleine Fusel, von Hand oder mit der Maschine gewaschen, nur mit heissem Wasser oder mit Spülmittel..) kann die Perlage optisch also extrem stark variieren.

Bei der Bewertung von Schaumweinen nur aufgrund der Perlage-Entwicklung/Optik sollte man unserer Meinung nach also eher (meist sogar sehr) zurückhaltend sein.

Im Gaumen (auf der Zunge) kann die Perlage aber durchaus ein wichtiges Testkriterium sein. Bei unseren Degustationen landete der von Saldo gelobte Pommery brut NV (dort auf Platz zwei gelandet) regelmässig auf den hintersten Rängen. DIes nicht nur aufgrund seiner groben Perlage - aber jeweils völlig unabhängig von der Glaswahl.

Wer noch mehr zu den zwei oben besprochenen Themenblöcken erfahren möchte:
  • Wir haben die Informationen zur teils immer noch schwierigen Vergleichbarkeit von Schaumweinen ohne Jahrgang ("NV") in einem PDF auf einer A4-Seite zusammengefasst in unserer aktualisierten Rubrik Glossar & Tipps.
  • Wer sich wirklich (Achtung, nur für Freaks!) im Detail mit der Bläschenbildung von Schaumweinen auseinandersetzen möchte. Ein Professor in Reims hat dazu ein ganzes Buch geschrieben: Ja, wirklich.

Wir wollten die Saldo-Jury und das Test-Setting auch nicht stark kritisieren. Immerhin hat Saldo eine relativ klar definierte Kategorie von Weinen ("massenkompatible" NV-Basisweine aus der Champagne mit Dosage "brut") verglichen. Das macht für einen Vergleichstest Sinn und ist nachvollziehbar - wenn mehr Produzenten endlich ihre NV-Flaschen mit den nötigen Informationen versehen würden.

Andere Blinddegustationen (etwa SRF im Jahr 2020 und wiederum SRF im Jahr 2014) verglichen dagegen Kraut und Rüben. So zum Beispiel etwa Schaumweine aus verschiedenen Traubensorten, Herstellungsmethoden und mit völlig unterschiedlichen Süssegraden. Solche Tests ergeben per Definition sehr zweifelhafte Ergebnisse (Details in den Links oben, es gewannen jeweils recht süssliche Schaumweine, einer davon aus dem simplen und eine grobe Mousse ergebenden Karbonisierungsverfahren).

Oder es wurden (trotz hochkarätig besetzter Jury!) unserer Meinung nach für eine Degustation völlig ungeeignete, schmale Flute-Gläser benutzt (SRF 2012).

Wer landete in diesem älteren SRF/Kassensturz-Test von 2012 übrigens abgeschlagen auf dem letzten Platz mit der Note ungenügend (3,8 von 6 Punkten)? Der "gleiche" (oder eben nicht gleiche) Colligny Brut NV.

Nun ist dieser Champagner der stolze Saldo-Testsieger 2022.

Was uns das lehrt? Selbst bei theoretisch (in diesem Fall natürlich nicht, es liegen ganze 10 Jahre zwischen den Degustationen) identischen Flaschen und einer Degustation am gleichen Tag hängt bei allen Blinddegustationen auch viel von der Jury-Zusammensetzung und ihren Vorlieben ab.

(Die Replizierbarkeit von Weinvergleichen und Degustationen wäre für sich alleine wieder ein abendfüllendes Thema. An dieser Stelle deshalb nur ein interessantes YT-Video in englischer Sprache. Dazu noch das sehr kritische Original-Video, ebenfalls englisch. Wir hoffen damit interessante erste Einstiegspunkte zu liefern für Interessierte.)

Die zweite Frage aus dem Titel müssen wir abschliessend noch beantworten:

Wie und wo bekommt man als Konsument nun den exakt gleichen Wein (also zum Beispiel einen Testsieger)? Oder bleibt der Kauf von jahrgangslosen Schaumweinen eine Lotterie?

Wie ausgeführt: Einen wirklich aussagekräftigen 1:1-Vergleich kann man bei NV-Schaumweinen und NV-Champagnern nur machen wenn man mindestens das Degorgierdatum (und dazu im Idealfall noch das Basisjahr) einer Flasche kennt.

Als Konsument kann man diese Entwicklung langfristig beeinflussen indem man bevorzugt Weine von Produzenten kauft die solche Informationen auf der Front- oder Rücketikette transparent kommunizieren. Das auch im eigenen Interesse. Nur dann weiss man wirklich was man trinkt.

Zu den Vorreitern RIchtung Transparenz gehören sehr viele Winzerchampagner und in letzter Zeit (das ist sehr lobenswert) auch immer mehr grössere Champagner-Produzenten, darunter sind bekannte Namen wie Lanson oder Louis Roederer.

Interessanterweise gehören die Champagnerproduzenten Lanson und der Testsieger Colligny (eine Marke von Maison Burtin) dem gleichen Eigentümer, nämlich der Gruppe Lanson-BBC.

Technisch wäre eine Umsetzung also ohne Probleme (auch bei einer Grossproduktion von einigen Millionen Flaschen pro Jahr) möglich.

Auch finanzielle Einwände gibt es keine. Sehr viele Franciacorta-Produzenten in Norditalien (im Schnitt sind deren NV-Weine deutlich günstiger als Champagner) vermerken auf ihren Flaschen bereits seit Jahren das Degorgierdatum (bzw. auf italienisch: data di sboccatura).

Letztlich hängt es von uns Konsumenten und unseren Kaufentscheidungen ab ob mehr Schaumweinhersteller eine bessere Transparenz anbieten werden - oder ob weiterhin Lottoscheine in den Schaumweinregalen der Grossverteiler stehen:

Kaufe ich nun den aktuellen Testsieger? Oder den alten "Zonk", der schon lange im grellen Regal stand? Oder schon die neuere Abfüllung, die eventuell ganz anders schmeckt als der Siegerwein? 

Bei Denner kann man immerhin sagen: Die Lottoscheine sind dort meist günstiger zu erwerben sind als anderswo ;-).

PS: Der Autor dieses Artikels hat Ende 2020 fünf in der Schweiz gut erhältliche NV-Champagner als Degustationsidee vorgeschlagen, dies ohne Benotung/Rangliste (alpahbetische Rehenfolge). Er persönlich würde nach wie vor eher folgende Weine den am Anfang des Artikels erwähnten fünf Saldo-"Testsiegern" (und vielen weiteren handelsüblichen NV-Champagnern) vorziehen: 
  • Alfred Gratien brut NV (mittlerweile leider mit weniger Distributionspunkten in der CH)
  • Bonnaire Blanc de Blancs Grand Cru brut NV (mittlerweile leider mit weniger Distributionspunkten in der CH)
  • Charles Heidsieck brut NV
  • Piper-Heidsieck brut NV
  • Taittinger brut NV (mit Vorbehalten, je nach Abfüllung) oder die etwas teurere Variante Taittinger Prélude Grand Cru brut NV
  • Ersatzideen für Taittinger: Louis Roederer Collection 24X (allenfalls mit Vorbehalten, je nach Abfüllung) oder Lanson Black Label brut NV (steigerte sich deutlich in den letzten Jahren).
Es wurden nur Champagner mit relativ breiter Distribution berücksichtigt. Winzerchampagner fielen damit leider aus dem Rennnen. 

Desweiteren wurden diese oben aufgelisteten Champagner über mehrere Jahre immer wieder verkostet. Zentrales Kriterium: Ist Qualität und Stil der NV-Abfüllungen möglichst konstant geblieben über die Jahre?



[1] Oft verwenden Champagnerabfüllungen für Handelsmarken mit Kürzel "MA-(Zahlencode)" was an Trauben oder Stillwein gerade (günstig) auf dem Markt verfügbar ist in der Champagne.

Das "MA" steht für Marque d'acheteur. MA-Champagner sind bei fast allen grossen Discountern und Handelsketten zu finden. Bei Denner Schweiz ist etwa die Handelsmarke "Pol Caston" ein solcher MA-Champagner mit dem Kürzel MA-4012-84-00815 auf der Etikette. Aehnliche Beispiele sind auch bei Mitbewerbern wie Aldi, Lidl oder Coop zu finden; meistens mit möglichst authentisch (oder vornehm) französisch klingenden Fantasienamen.

"MA"-Champagner kosten meist nur 15-25 CHF pro Flasche, volumenmässig darf man ihren Einfluss (gerade Ende Jahr, regelmässige Aktionen zu Weihnachten und Silvester als flüssige Lockvögel im Detailhandel ohne Marge) also auf keinen Fall unterschätzen. Viele Gelegenheitstrinker entscheiden sich für solche Weine weil Preis und Herkunft (“Champagne”) für sie stimmen - oder vielleicht eben wegen eines Vergleichstests in der Presse.

Dieser Blogeintrag hat hoffentlich aufgezeigt dass der "Lotteriefaktor" bezüglich Flaschenqualität und Inhalt gerade bei MA-Champagnen und NV-Flaschenabfüllungen für Handelsketten am grössten ist. Praktisch keiner dieser Champagner zeigt detaillierte Angaben zu Erntejahr/Basisjahr, Degorgierdatum oder zur verwendeten Assemblage auf der Etikette. Das ist eigentlich allgemein bekannt in der Weinbranche und in der Fachpresse.

Trotzdem werden seit Jahren immer wieder neue "Lotteriegewinner“ erkürt in Vergleichstests aus dem grossen Angebot an NV-Schaumweinen.